Slowenien: Neue Regierung

In Minderheitenfragen neue Differenzen mit (Kärnten) Österreich?
Österreich kein Rechtsstaat?

16.3.2020  Slowenien – Neue Regierung (Regierungschef: Janez Janša): Helena Jaklitsch wird Ministerin für die Slowenen im benachbarten Ausland; Dejan Valentinčič wird Staatssekretär in diesem Ministerium.1

Ministerin Helena Jaklitsch, geboren in Novo mesto, entstammt einer „slowenisch-gottscheer“ Familie. Als anerkannte Historikerin beschäftigt sie sich kritisch mit der Geschichte der Tito-Partisanen. Beispielsweise veröffentlichte sie ein Verzeichnis betreffend die 689 Opfer „revolutionärer Gewalt“ bis zum Juli 1942. Damit wird der Beweis erbracht, dass die Partisanenopfer Gegner des Kommunismus und der kommunistischen Revolution und keine Kollaborateure waren.2  Die Historiker vertreten diesbezüglich extrem gegensätzliche Positionen.   

Dejan Valentinčič fungiert als ständiger Kommentator der Kärntner Kirchenzeitung Nedelja und war von 2010 bis 2012 ihr Praktikant. „Slowenien ist das Herz, das benachbarte Grenzausland aber die Lunge des Slowenentums“, so der besonders slowenisch-nationalbewusste neue Staatssekretär.3
Er spricht von einer „anti-slowenischen Hetze“ in Kärnten und begrüßt die  slowenische Initiative SKUP (geführt von Rudi Vouk), die allerdings von zwei der drei slowenischen Zentralorganisationen abgelehnt wird.4 Slowenien sei „auf jeden Fall der Mutterstaat für die in Österreich lebenden Slowenen“ und die slowenische Volksgruppe sieht sich selbst als Teil der slowenischen Nation. Die Slowenen außerhalb Sloweniens werden laut Valentinčič „als gleichwertiger Teil der einheitlichen slowenischen Nation“ bezeichnet. Für Amtssprachenrechte und auch für andere Rechte werde es immer klarer, dass Österreich nicht vorhat, sie zu erfüllen, sondern sie nur noch einschränkt, stellte der neue Staatssekretär im Bildungsheim Tainach unter Berufung auf Rechtsanwalt Rudi Vouk fest.5 Der neue Staatssekretär schlug in der Vergangenheit u.a. folgende Maßnahmen des Mutterlandes Slowenien hinsichtlich der „Landsleute“ im benachbarten Ausland vor:

  • Die Wettervorhersagen müssten in Zukunft den „gesamten slowenischen ethnischen Raum“ umfassen.
  • In den Schulprogrammen soll mit einer gleichberechtigten Behandlung des gesamten slowenischen völkischen Raumes begonnen werden.
  • Slowenien muss bei den Kindern und Jugendlichen mit der Erziehung des Heimatbewusstseins beginnen und ganz normal auch das slowenische Gebiet und die Landsleute außerhalb der Staatsgrenzen einschließen.
  • In allen Schulprogrammen müsste der Patriotismus verpflichtend eingeführt werden.
  • Der Minister, zuständig für die Slowenen im Grenzausland, müsste automatisch auch als Stellvertreter des Regierungschefs fungieren.
  • Im Parlament müsste auch ein Abgeordnetenmandat für die Landsleute im benachbarten Ausland reserviert sein.
  • Die Landleute außerhalb des Mutterlandes machen ständig auf das Schweigen Sloweniens aufmerksam, wenn es nötig ist, die Interessen und Rechte seiner Landsleute zu verteidigen. Es müsste also die außenpolitische Strategie geändert werden.
  • Den Bereichen der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kooperation wurde in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Deshalb wurde eine Kooperationsstrategie zwischen der Republik Slowenien und der slowenischen autochthonen Volksgemeinschaft (narodna skupnost) in den Nachbarstaaten bis zum Jahre 2020 angenommen. Die europäischen Fonds ermöglichen große Chancen für die Finanzierung von grenzüberschreitenden Projekten, dabei sind die Minderheiten aber eine ausgezeichnete Brücke und diese Möglichkeiten müssten besser genützt werden.
  • Eine besondere Herausforderung ist die Frage, wie man die Jugend in der Mitte der slowenischen Volksgemeinschaft erhalten könnte, denn es ist ein natürlicher Prozess, dass ihr Gefühl für die Zugehörigkeit zum Slowenentum nachlässt.
  • Besondere Schwierigkeiten ergeben sich auch bei den heutigen Emigranten aus Slowenien. Sie haben für den Anschluss an die slowenischen Volksgemeinschaften kaum Interesse. Deshalb ist für diese Gruppe ein klares Konzept mit konkreten Zielen nötig.

Valentinčič: „Das Ziel der slowenischen Politik gegenüber den Grenzauslandsslowenen müsste sehr klar sein: die Pflege des slowenischen Nationalbewusstseins und der Versuch einer möglichst engen Verbindung zum slowenischen Staat. (…) Der Erhalt der slowenischen Sprache und der Kultur wird nur im Falle der Erhaltung und Entwicklung des Nationalbewusstseins und des Zustandes einer Bindung an das Mutterland (Mutterstaat) möglich sein, deshalb muss man dem die ganze Aufmerksamkeit widmen. Slowenien versteht und behandelt das Konzept des Multikulturalismus völlig falsch. (…) Es besteht für Slowenien keine Notwendigkeit, den Multikulturalismus bei seinen Landsleuten im Grenzausland zu unterstützen. Es ist erforderlich, den Erhalt der Besonderheiten der Minderheit anzuregen, nicht aber einen zusätzlichen „Multikulturalismus“ aufzuzwingen, was in dieser Situation nichts anderes als eine weitere Assimilation bedeutet. Die Idee eines Multikulturalismus muss die Mehrheitsbevölkerung annehmen, die Idee ist vielleicht auch für die heutigen Migranten aktuell, niemals ist es aber nötig, dies den traditionellen Minderheiten beizubringen. An anderer Stelle habe ich am Beispiel Österreichs die Situation wie folgt beschrieben: Die speichelleckerische Beziehung zur österreichischen Politik, die Wahl von Gesprächspartnern in Klagenfurt anstatt in Wien, das Feilschen um Minderheitenrechte und anstatt entschlossener Worte auf politischem Parkett ein mediales Geschwafel, womit in Kärnten eine Leidenschaft angefeuert worden ist, könnten wir als bezeichnendes Fehlverhalten Sloweniens beim Versuch des Schutzes der Volksgemeinschaft anführen“.6

Anton Novak, seit einiger Zeit slowenischer Generalkonsul in Klagenfurt, war ebenfalls im Amt für die Slowenen im Grenzausland angestellt. In seiner Dissertation, die vom Hermagoras-Verlag in Klagenfurt publiziert worden ist, beschäftigt er sich mit dem rechtlichen Schutz der slowenischen Minderheit in Österreich.7

Daraus einige bemerkenswerte Feststellungen des slowenischen Generalkonsuls :

  • Novak bezweifelt, dass die Minderheitenschule in Kärnten dem Artikel 30 der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes  entspricht: „Es stellt sich nämlich die Frage, ob eine Schule, an der bei Eintritt in die 1. Klasse mehr als die Hälfte der Kinder nicht Slowenisch spricht und nicht aus slowenischen Familien kommt, die slowenische Kultur und Identität vermitteln kann (S. 57).
  • In rund 800 Orten, im Bereich, in dem im Jahre 1945 der verpflichtende zweisprachige Unterricht eingeführt worden ist, müssten zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden (S. 73).
  • Für die slowenische Minderheit wäre vor allem ein gesichertes Landtagsmandat von Bedeutung.
  • Die Volkszählungen ergeben einen ständigen Rückgang der Zahl der slowenischsprachigen Österreicher. Daher benötigt die slowenische Minderheit eine höhere Stufe eines rechtlichen und faktischen Schutzes, denn der derzeitige Schutz sichert nicht einmal den Bestand (S. 107).
  • Für die Erhaltung und Entwicklung der slowenischen Minderheit wäre in erster Linie eine konsequente Erfüllung des Art. 7 des Staatsvertrages 1955 von besonderer Bedeutung, dies nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Geist entsprechend (S. 228). 
  • Österreich müsste der slowenischen Minderheit im Landtag eine effektive Mitsprache zusichern. In einigen Bereichen (Kindergartenwesen, Schule, Kultur usw. ) müsste man aber die Minderheit ermächtigen, die Angelegenheiten autonom zu regeln ( S. 229).
  • Slowenien ist in der Rolle der Schutzmacht der slowenischen Minderheit zu wenig aktiv und nützt nicht alle Möglichkeiten, die das internationale Recht bietet. Die slowenische Minderheit erwartet von Slowenien bei der Durchsetzung der von Österreich unerfüllten Verpflichtungen eine größere Unterstützung (S. 244).
  • Slowenien ist laut Artikel 5 der Verfassung verpflichtet, für die autochthonen slowenischen Minderheiten in den Nachbarstaaten zu sorgen (S. 245).
  • Gebiete in den Nachbarstaaten, in denen slowenische Minderheiten leben, bilden mit dem slowenischen Staatsgebiet den gemeinsamen Kulturraum (S. 247).
  • Deutschnationale Kräfte in Österreich, denen auch einige Politiker folgen, verlangen für die Angehörigen der deutschen Nationalität in Slowenien die selben Rechte, die die slowenische Minderheit in Österreich genießt. Die slowenische Seite macht den Eindruck, dass sie sich vor Österreich fürchtet oder dass sich die slowenische Seite mit Österreich nicht verderben will (S. 249).
  • Die Notwendigkeit einer Internationalisierung der Minderheitenfrage sieht die slowenische Minderheit auch heute, denn Österreich benimmt sich nach Ansicht von Rudi Vouk so, als wäre es kein Rechtsstaat (S. 260).
  • Schlussfolgerungen des Autors:
    Österreich verletzt wegen der unerfüllten Verpflichtungen gegenüber der slowenischen Minderheit in Kärnten und in der Steiermark die Menschenrechte der Minderheitenangehörigen und erfüllt somit in diesem Bereich nicht die Kriterien eines demokratischen Rechtsstaates (S. 261). Slowenien erfüllt nicht ausreichend die Rolle einer Schutzmacht ihrer Minderheit in Österreich (S. 262). Österreich müsste zur Gänze die Ausbildung der Angehörigen der slowenischen Minderheit in slowenischer Sprache regeln, und zwar in den Kindergärten, den Volks- und Hauptschulen (heute: NMS), höheren Schulen, Berufsschulen, höheren technischen Schulen, Hochschulen und in der Erwachsenenbildung (S. 263). Wegen der Verletzung von Minderheitenrechten müssten Slowenien und die Minderheit einer Internationalisierung der Minderheitenfrage näher treten. Möglich wäre ein Verfahren nach Artikel 34 und 35 der Staatsvertrages im Hinblick auf die unrichtige Auslegung und die fehlende Umsetzung der Bestimmungen des Staatsvertrages (Unterricht in slowenischer Sprache, zweisprachige Aufschriften, Verwendung des Slowenischen als Amtssprache, antislowenische Organisationen). Slowenien könnte dieses Verfahren erst nach erfolgter Notifikation als Nachfolge im Österreichischen Staatsvertrages einleiten (S. 264). Slowenien könnte Maßnahmen der EU zur Sicherung der Menschenrechte von Angehörigen der slowenischen Minderheit in Österreich und zur Achtung der Grundsätze eines Rechtsstaates verlangen (S. 264).

Es stellt sich nun die Frage, ob die Standpunkte der neuen slowenischen Amtsinhaber die Beziehungen zwischen Österreich (Kärnten) und Slowenien beeinflussen werden.

 

1 Novice, 20.3.2020, S. 2.

2 Helena Jaklitsch, Verzeichnis der Opfer revolutionärer Gewalt, in: Temelj prihodnosti,
Ljubljana 2015, S. 197 ff.

3 Nedelja, 29.3.2020, S. 2, 3.

4 Nedelja, 15.12.2019, S. 2.

5 Minderheiten und Mutterstaaten: Schutz oder Intervention? (Herausgeber: Gerhard Hafner, Heinrich Neisser, Martin Pandel, Günther Rautz), Tagungsband: Katholisches Bildungshaus Tainach, Klagenfurt,
2015, S. 197 ff.

6 Dejan Valentinčič, in: Meje slovenskega kulturnega prostora (= Grenzen des slowenischen Kulturraumes) Ljubljana 2014, S. 139-154.

7 Antin Novak, Pravno varstvo slovenske manjšine v Avstriji, Klagenfurt 2005.